Ein Schatz an Informationen
Wenn Unternehmen der Immobilienwirtschaft die Daten ihrer Gebäude und Wohnungen konsequent managen wollen, sehen sie sich nicht selten vor einer Mammutaufgabe. Wie geht man die Herausforderung mit Augenmaß an? Ein Ein- und Ausblick.
Werner Schlinkert erinnert sich noch gut an den April 1981, als ihn das Thema „Bestandsdaten managen“ zum ersten Mal beschäftigte. Der heutige Vorstand der Arnsberger Wohnungsbaugenossenschaft hatte damals gerade erst in dem Unternehmen angefangen und eigentlich sollte ihn sein Vorgänger über einen längeren Zeitraum einarbeiten. Daraus wurde nichts, denn unerwartet und plötzlich verstarb der Kollege. „Und mit ihm verschwand ein Großteil des Wissens um die Ausstattung der Häuser und Wohnungen, die wir bewirtschaften“, erinnert sich Werner Schlinkert. Es gab kein Archiv und erst recht keine moderne EDV, in der die Daten gesammelt wurden. Der Kollege hatte sich alles Wesentliche eingeprägt – Anfang der 1980er Jahre keine unübliche Praxis.
Es war die Initialzündung, Bestandsdaten systematisch zu erfassen und zu archivieren
Werner Schlinkert, Vorstand der Arnsberger Wohnungsbaugenossenschaft eGWerner Schlinkert zog die Konsequenz
Dreh- und Angelpunkt der Wohnungsbaugenossenschaft, die im Stadtgebiet von Arnsberg 1.700 Wohnungen verwaltet, ist dazu heute die Software Wodis Sigma. Werden Wohnungen oder Häuser repariert oder saniert, geben Mitarbeiter die Rechnungsdaten und Produktdetails von Ausstattungselementen wie Heizthermen, Toilettentöpfen, Badarmaturen, Türen, Fenstern und Fußböden zeitnah in eine Datenbank ein, in der sie archiviert werden und für Auswertungen zur Verfügung stehen.
„Bei Mieterwechseln und Wohnungsübergaben haben sowohl wir als auch der neue Mieter einen aktuellen Überblick über die Ausstattung“, sagt Werner Schlinkert. Und bei auftretenden Problemen könne man zügig prüfen, ob dies ein Einzelfall oder doch eher die Regel ist – ob also möglicherweise ein Mangel vorliegt, mit dem man Zulieferer oder Handwerker konfrontieren kann. Bei Konflikten stärke das die Verhandlungsposition der Genossenschaft. Auch sonst vereinfache es die Planung: Lohnt sich zum Beispiel der Anschluss einer Wohnung an eine Sammelheizung? Wie steht es um die benachbarten Wohnungen? Ist es sinnvoll, ihre Modernisierung ebenfalls anzugehen? „Unterm Strich wirtschaften wir dank unseres Bestandsdatenmanagements effizienter“, sagt Werner Schlinkert.
Eine Überzeugung, die sich noch nicht überall durchgesetzt hat. Viele Wohnungsunternehmen gehen die IT-gestützte Pflege von Bestandsdaten halbherzig an oder schieben sie auf die lange Bank. Dabei gibt es handfeste ökonomische und rechtliche Gründe, sich des Themas anzunehmen, zumal die entsprechende Technologie vorhanden und nicht unerschwinglich ist. Aber selbst, wenn man all das einsieht: Wie erhebe ich Bestandsdaten und wie halte ich sie aktuell? Wenn ich sie habe, was mache ich mit ihnen? Und schließlich: Welche Daten sind überhaupt wichtig?
Prozesse verstehen – und beherrschen
„Jedes Unternehmen muss individuell prüfen, welche Daten ihm am meisten nützen und wie es die Datenpflege optimal organisieren kann“, erklärt Sven Dittrich, Mitarbeiter Solution Sales bei Aareon. Mit anderen Worten: Den gesamten Prozess von der Erhebung der Daten über ihre Archivierung und Auswertung bis hin zur Aktualisierung gilt es sauber zu durchdenken, zu definieren – und nicht zuletzt auch in der Praxis zu leben. Erst dann entfalten sich Effizienzgewinne.
Grundsätzlich sieht Dittrich eine Vielzahl von Feldern, denen Wohnungsunternehmen mit Blick auf den Bestand besonderes Augenmerk schenken sollten: Neben der Instandhaltungsplanung und Abwicklung von Reparaturen sind das die Verkehrssicherung, aber auch die zur Energieerzeugung notwendige Infrastruktur. Weiß ein Unternehmen zum Beispiel, dass in zehn benachbarten Häusern jeweils ein Gasheizkessel steht, der in Kürze ersetzt werden muss, gibt es eine ganze Reihe von Optionen: Lohnt es sich, die Kessel zu ersetzen oder bietet sich die Anschaffung eines zentralen Blockheizkraftwerkes an? Welche exakten Leistungsdaten haben die bisherigen Kessel und wann heizen die Mieter am meisten? „Ohne entsprechende Bestandsdaten lassen sich Energiethemen wie diese nicht sachlich und sinnvoll angehen“, meint Dittrich.
Beim Thema Verkehrssicherung, also der Wartung und Pflege von Dächern, Balkonen, Klettergeräten auf dem Spielpatz oder der Fassade, verhält es sich ähnlich. Je mehr über den jeweiligen Zustand bekannt ist, umso genauer kann ein Unternehmen seine Reparatur- und Instandsetzungsaufträge formulieren. Muss die Fassade zum Beispiel wirklich komplett erneuert werden oder genügt es, nur bestimmte Abschnitte zu modernisieren? Welches Material wurde zuletzt verwendet und hat es sich bewährt? Antworten auf diese Fragen sind hilfreiche bis essenzielle Informationen bei einer Handwerker-Ausschreibung.
In der Praxis sind in den Augen von Sven Dittrich zudem zwei Aspekte entscheidend: „Zum einen sollte die Anbindung von Handwerkern und Zulieferern möglichst reibungslos funktionieren. Und dazu sind nicht nur entsprechende Software-Schnittstellen und ein Datenformat nötig, das den wechselseitigen Datenaustausch ermöglicht. Es geht vor Allem – und das ist Punkt zwei – auch darum, dass die Daten ebenso selbstverständlich wie gewissenhaft eingegeben werden.“ Die Aufgaben und die Arbeitsteilung müssen also allen Beteiligten klar sein.
Was im Übrigen auch für die Prozesse innerhalb eines Wohnungsunternehmens gilt: Bei einer Wohnungsübergabe etwa bietet es sich an, die Ausstattungsdaten mobil mit Hilfe eines Tablet-PCs zu erfassen und auswertbar in einem zentralen System abzulegen. „Aber auch das muss jemand in der täglichen Praxis machen – und zwar konsequent“, erklärt Dittrich weiter.
Heilsbringer BIM?
Dass neue Soft- und Hardware alleine noch lange kein gutes Bestandsdatenmanagement ausmachen, steht für Dr. Ulrich Bogenstätter außer Frage. Bezeichnend findet der Professor für Technisches Gebäudemanagement an der Hochschule in Mainz in diesem Zusammenhang die Diskussionen um das Schlagwort „Building Information Modeling“. Vereinfacht gesagt beschreibt BIM, so die Abkürzung, die Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe eines dynamischen Datenmodells. Dabei werden die Gebäudedaten über den gesamten Lebenszyklus digital erfasst, vernetzt und in einem mehrdimensionalen, virtuellen Gebäudemodell visualisiert. Ergänzungen oder Änderungen am oder im Gebäude werden in das Datenmodell des Hauses eingetragen, so dass sich automatisch auch die Visualisierung ändert.
„In der Planung und Ausführung von sehr großen, komplexen Bauprojekten wie Hochhäusern oder Flughäfen kann BIM ein wirkungsvolles Tool sein, um Fehler und Kosten zu minimieren“, sagt Bogenstätter. In diesen Fällen seien aber viele Daten wichtig, die wiederum in der Wohnungswirtschaft nicht im Fokus der Aktivitäten stehen. „Komplexe Gebäudesimulationen sind zwar spannend, aber für die Wohnungswirtschaft ist BIM vor allem im Rahmen einer Portfolio-Strategie beim Thema Modernisierung und Instandhaltung sinnvoll.“ Hier lasse sich durchaus mehr Transparenz bei Standardprozessen der „Technik“ und Einkauf schaffen.
Andererseits, so Bogenstätter, lohne sich das eher für Wohnungsunternehmen ab einer gewissen Größe mit einem entsprechend umfassenden Gebäudebestand oder wenn große Neubauten anstehen. Kleine und mittlere Wohnungsbauunternehmen hingegen dürfte die mit BIM einhergehende Komplexität heute eher überfordern, sagt Bogenstätter: „Wenn BIM stringent und sinnvoll eingesetzt wird, muss es eine Laufzeit von mehreren Jahrzehnten haben. Erst dann entfalten sich die größten Vorteile. Man sollte vorab also sehr gewissenhaft prüfen, ob der Aufwand in einer vernünftigen Relation zum ökonomischen Nutzen steht.“, so Bogenstätter.
Aufgeschlossen bleiben
Dr. Joachim Hohmann, Professor für IT im Immobilien und Facility Management an der Technischen Universität Kaiserslautern, ist ähnlicher Meinung. Auch er sieht BIM als sinnvolles Tool bei großen Gewerbeimmobilien-Projekten oder luxuriösen Wohnungsprojekten. „Für viele Wohnungsbaugesellschaften ist es aber im Sinne eines Bestandsdatenmanagements heute noch eine Nummer zu groß“, sagt Hohmann.
Er empfiehlt Unternehmen, die sich bislang ohne Datenmanagement „durchmogelten“, klein anzufangen und stufenweise mit der IT-gestützten Dokumentation des eigenen Bestandes zu beginnen. „Vor allem Umbauten sind ja ein guter Anlass, Wohnungs- und Gebäudedaten zu aktualisieren und zu archivieren. Das kann man allmählich auf den ganzen Bestand ausdehnen.“ Fehlen dafür Ressourcen, lassen sich auch Dienstleister einschalten, welche die Daten mit modernen und preisgünstigen Methoden erheben und danach gegebenenfalls auch pflegen.
Datenmanagement sei nicht nur im Hinblick auf eine bessere Bewirtschaftungsplanung wichtig, findet Joachim Hohmann. „Auch bei Übertragungen und Rechtsfragen spielt es eine immer entscheidendere Rolle.“ Ohne eine schlüssige und vollständige Dokumentation lassen sich Immobilien nicht mehr veräußern – ein Käufer möchte ja wissen, was er erwirbt. Des Weiteren schaffen transparente Daten Rechtssicherheit beim Erbringen von Nachweispflichten.
„Egal, ob zum Beispiel in puncto Energie, Brandschutz oder Abfallentsorgung: es gibt eine Fülle von Themen, in denen aktuelle Daten für Wohnungsbauunternehmen unumgänglich sind“, sagt Hohmann.
Ein pragmatisches Argument, das Werner Schlinkert von der Arnsberger Wohnungsbaugenossenschaft gut nachvollziehen kann: „Wir fragen uns beim Thema Bestandsdatenmanagement immer, was für uns nützlich, umsetzbar und bezahlbar ist“, sagt er. Nicht alles, was technisch machbar ist, erweist sich in der Praxis als sinnvoll für die 12 Mitarbeiter. „Es reicht für unsere Zwecke zum Beispiel aus, zu wissen, wie viele Steckdosen in einem Raum sind, und nicht: wo genau sie sich befinden.“ Der Mehraufwand, diese Zusatzinfos zu erheben und im System abzulegen, sei – derzeit zumindest – nicht vertretbar.
Gleichwohl führt für ihn an einer zunehmenden Digitalisierung des Bestandes kein Weg vorbei. „Vor allem im Umgang mit potentiellen neuen Mietern hat das Thema ja Charme.“ Wenn Interessenten ohne großen Aufwand einen visuellen, digitalen Grundriss studieren könnten, möglicherweise sogar noch angereichert durch aktuelle Fotos der Küche oder des Bades, wäre das schon attraktiv. Aber, so Schlinkert, derlei könne man nur sukzessive umsetzen: „Das wird uns in den kommenden Jahre beschäftigen. Hauptsache, man arbeitet konsequent an diesen Themen und bleibt aufgeschlossen.“